Entlastungsschreiben

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Die Entlastungsschreiben, im Volksmund auch ‚Persilscheine‘ genannt, waren in den Entnazifizierungsverfahren eine Art Ehrenerklärung, mit der der Zielperson in der Regel attestiert wurde, dass sie entweder im Widerstand agiert hatte oder zumindest nicht freiwillig mit dem Regime kooperierte. Musiker*innen oder Komponist*innen hätten sich demnach ausschließlich der künstlerischen Arbeit gewidmet oder sich für Verfolgte eingesetzt (Vgl. Schmuhl 2019, 217). Nicht selten stellt sich eine angeklagte Person selber ein derartiges Zeufnis aus, wenn bspw. umstrittene Publikationen zu rechtfertigen waren (Vgl. Custodis 2014, 149). Es handelte sich hierbei nicht selten um Briefe aus dem Bekannten- und Freundeskreis. Die Entnazifizierungsakten lassen sich in den Landes- und Staatsarchiven, im Bundesarchiv oder in den Universitätsarchiven nachweisen.

Einige außergewöhnliche Fälle aus dem Kulturbetrieb sind dort dokumentiert: Hans Dinkelmann schrieb für Friedrich Blume eine wohlwollende Empfehlung. Dieser war obendrein Mitglied des Ausschusses. Ministerialrat Herman-Walther Frey verfügte über zahlreiche Netzwerke, die ihm etwa 70 Empfehlungsschreiben einbrachten. Werner Egk nutzte die Unterstützung durch Heinrich Strobel, obwohl dieser eher der ‚verfemten Avantgarde‘ und jener der ‚systemkonformen Fraktion‘ angehörte (Custodis 2013, 12). Werner Egk diktierte dem Komponisten Ludwig Strecker den Text für seinen Persilschein per Brief (Custodis 2013, 132). In dem Verfahren gegen den Philosophen Martin Heidegger überraschte sein Kollege Karl Jaspers in seinem Gutachten mit deutlicher Kritik am Verhalten Heideggers in der NS-Zeit (Vgl. Ott 1988, 316).


Verwendete Literatur:

  • Custodis , Michael: Netzwerker zwischen Moderne und Tradition. Wolfgang Steinecke und die Gründung der Internationalen Ferienkurse, in: Custodis, Michael (Hg.): Traditionen – Koalitionen – Visionen. Wolfgang Steinecke und die Internationalen Ferienkurse in Darmstadt, Saarbrücken, 2010, 54–63
  • Custodis, Michael: Friedrich Blumes Entnazifizierungsverfahren, in: Die Musikforschung, 65, 2012, S. 1–24
  • Custodis, Michael/Geiger, Friedrich: Netzwerke der Entnazifizierung – Kontinuitäten im deutschen Musikleben am Beispiel von Werner Egk, Hilde und Heinrich Strobel, Münster 2013 (= Münsteraner Schriften zur zeitgenössischen Musik, Bd. 1)
  • Custodis, Michael (Hg.): Herman-Walther Frey: Ministerialrat, Wissenschaftler, Netzwerker – NS-Hochschulpolitik und die Folgen, (= Münsteraner Schriften zur zeitgenössischen Musik, Bd. 2) Münster 2014
  • Drüner, Ulrich und Georg Günther: Musik und „drittes Reich“ – Fallbeispiele 1910 bis 1960 zu Herkunft, Höhepunkt und Nachwirkungen des Nationalsozialismus in der Musik, Wien 2012, 315–346
  • Ott, Hugo: Martin Heidegger. Unterwegs zu seiner Biografie. Frankfurt a. M. 1988, 313–327
  • Schmuhl, Hans-Walter: Zwischen Göttern und Dämonen – Martin Stephani und der Nationalsozialismus, München 2019
  • Vollhals, Clemens (Hg.): Entnazifizierung. Politische Säuberung und Rehabilitierung in den vier Besatzungszonen 1945-1949, München 1991, 55-64

Empfohlene Zitierweise

Joachim Pollmann, Artikel “Entlastungsschreiben“, in: Kollaborateure – Involvierte – Profiteure. Musik in der NS-Zeit, hrsg. von Rebecca Grotjahn, Universität Paderborn / Hochschule für Musik Detmold, 2019. URL: https://kollaborateure-involvierte-profiteure.uni-paderborn.de/index.php/Entlastungsschreiben

Autor

Joachim Pollmann (2019, aktualisiert am 18. Sept. 2019)