Polykratie im Kulturbetrieb

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Version vom 3. Juni 2021, 21:24 Uhr von Pollmann (Diskussion | Beiträge)
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Der mit konkurrierenden Machtzentren ausgestattete NS-Staat entwickelte sich nach 1933 aus den Ansprüchen von Staat und Partei. Parteiorganisationen konkurrierten mit Staatsorganen und Sonderbehörden, wie das Amt Rosenberg, griffen von der Seite in den Dualismus ein. Seibel/Raab wiesen mit Hillfe der Historischen Netzwerkanalyse nach, dass sich polykartische Strukturen im Verfolgungsapparat in den Niederlanden 1942-43 nicht ungeordnet, sondern durch Arbeitsteilung und Machtdifferenzierung manifestierten. Vielfach existierten, wie z. B. in der Außenpolitik, gleich mehrere Dienststellen: das Auswärtige Amt, die Dienststelle Ribbentrop, das Amt Rosenberg und die Auslandsorganisation der NSDAP. Machtkämpfe gab es auch im Bereich der Kultur zwischen Joseph Goebbels, Alfred Rosenberg, Robert Ley (Leiter der Deutschen Arbeitsfront) und Bernhard Rust (Erziehungsministerium). Aber auch auf unteren Ebenen kam es im Bereich der Musik zu permanenten Zuständigkeitsunklarheiten zwischen Heinz Drewes, dem Leiter der Abteilung X (Musik) im RMVP und Peter Raabe, dem Präsidenten der Reichsmusikkammer (RMK). Sie stritten um Auftritte als Gastdirigent im Ausland, um Listen unerwünschter und schädlicher Werke, die von der RMK und der Reichsmusikprüfstelle erstellt wurden, die Goebbels wiederum für völlig übertrieben hielt (Tagebücher IV, 149). Darüber hinaus ging es zwischen Hans Severus Ziegler und Rosenberg um den Einfluss auf die Gestaltung der Ausstellung Entartete Musik, die nicht nur von Peter Raabe und Richard Strauss heftig kritisiert wurde. Für Verwirrung sorgten obendrein die zahlreichen Sondergenehmigungen, die Goebbels erteilte: So wurden z. B. die Komponisten Winfried Zillig und Paul von Klenau geduldet, obwohl beide Zwölftonkompositionen schrieben.


Verwendete Literatur:

Bollmus , Reinhard: Das Amt Rosenberg und seine Gegner – Studien zum Machtkampf im nationalsozialistischen Herrschaftssystem, München 2006, 61–103, 236–250

Hüneke , Andreas: Entartete Kunst, in: Benz, Wolfgang: Literatur, Film, Theater und Kunst (= Handbuch des Antisemitismus. Judenfeindschaft in Geschichte und Gegenwart, Bd. 7), Berlin 2015, 70–71

Hüttenberger , Peter: Nationalsozialistische Polykratie, in: Berding, Helmut (Hg.) u. a.: Geschichte und Gesellschaft (= Zeitschrift für Historische Sozialwissenschaft) Göttingen 2 (1976) 417–442

Okrassa , Nina: Peter Raabe – Dirigent, Musikschriftsteller und Präsident der Reichsmusikkammer (1872-1945) Köln 2004, 311-322

Prieberg , Fred K.: Gründe und Hintergründe einer Ausstellung, in: Dümling, Albrecht und Peter Girth: Entartete Musik. Dokumentation und Kommentar zur Düsseldorfer Ausstellung von 1938, Düsseldorf 31993 [1988], 196–199

Reichel , Peter: Der schöne Schein des Dritten Reiches – Gewalt und Faszination des deutschen Faschismus, Hamburg 2006, 98–122, 447– 463

Seibel/Raab, Seibel, Wolfgang und Jörg Raab: Verfolgungsnetzwerke. Zur Messung von Arbeitsteilung und Machtdifferenzierung in den Verfolgungsapparaten des Holocaust, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, 55, H.2, 2003, 197–230

Schmidt , Christoph: Nationalsozialistische Kulturpolitik im Gau Westfalen-Nord. Regionale Strukturen und lokale Milieus (1933-1945), Paderborn 2006, 33-50

Thamer , Hans-Ulrich: Verführung und Gewalt. Deutschland 1933-1945 (= Deutsche Geschichte, Bd. II), Berlin 1998, 351-364


Empfohlene Zitierweise

Joachim Pollmann, Artikel “Polykratie im Kulturbetrieb“, in: Kollaborateure – Involvierte – Profiteure. Musik in der NS-Zeit, hrsg. von Rebecca Grotjahn, Universität Paderborn / Hochschule für Musik Detmold, 2019. URL: https://kollaborateure-involvierte-profiteure.uni-paderborn.de/index.php/Polykratie_im_Kulturbetrieb

Autor

Joachim Pollmann (2019, aktualisiert am 03. Juni. 2021)